Liebe Naturfreunde,
euch erwartet heute ein etwas anderer Bericht, ein Fundbericht über einen Pilz. Ein bisschen auch ein kleiner Krimi. Und ihr werdet von vielen hilfsbereiten Menschen lesen. Und von einigen "H"s wie Hawe, Habitat, Hartnäckigkeit, Hilfsbereitschaft, einem Habicht, Hanausek, Holzmichel und heimlichen Helden. Man könnte auch titeln: Von der Schwierigkeit, einen Pilz zu bestimmen.
Die Entdeckung
Im Juli 2017 waren wir mit meinem Schmetterlingsfreund aus Saalfelden auf Exkursion am Fuße des Steinernen Meeres. Hier kommt das erste H: Hawe war Schuld. Du musst mal mitkommen und dir das ansehen, da sind Baumpilze. Bei all den vielen schönen Faltern bin ich etwas lustlos hinterhergestapft, ich ahnte ja nicht, was ich gleich sehen sollte. Um die letzte Fichte herum, und dann klappte der Kiefer herunter: Ich konnte es kaum glauben, an einem Baumstubben waren gestielte Lackporlinge. Der Glänzende Lackporling, der stand schon lange auf meiner Wunschliste. Das gab eine spontane Adrenalin-Ausschüttung. Schaut her:
Es waren wohl über 10 Fruchtkörper, manche noch ganz jung und noch ohne Hut, wie ein dicker Daumen ragten sie aus dem Stubben hervor, andere Fruchtkörper waren tellergroß und schon vom Sporenstaub der Nachbarfruchtkörper bedeckt.
Sogar im tiefen Gestrüpp neben dem Stubben lagen noch Fruchtkörper mit ganz langem Stiel, der vermutlich eine Verbindung zum Stubben hatte. Die Zuwachszone war gelblich, die Zuwachskante weiß. Die Unterseite hatte Poren, die teilweise von glänzender Huthaut bewachsen war und an Druckstellen leicht fuchsrot verfärbte:
Ich habe sämtliche Falter vergessen und zahllose Fotos gemacht, hinterher aber nur eine Auswahl behalten. Ich hatte nur den LAUX [1] mit und die Art darin als Glänzenden Lackporling Ganoderma lucidum verortet. Neben dem Glänzenden Lackporling führt LAUX auch den Dunklen Tannen-Lackporling Ganoderma carnosum, der allerdings auf Stümpfen von Weißtanne lebt. Diese gestielten Lackporling sind selten. Was habe ich mich über diesen Fund gefreut!
Postwendend habe ich meinen Kontakt in Salzburg über den Fund informiert. Die Reaktion war prompt und überraschend. Denn mein Kontakt hat den Glänzenden Lackporling (Ganoderma lucidum) als Wärme liebende und Eichen bewohnende Art sofort ausgeschlossen. Möglich sei auch der Dunkle Tannen-Lackporling (Ganoderma carnosum), der auf Tanne fruktifiziere und in den Nordalpen verbreitet sei.
Verbunden war die Bitte, dem Substrat nachzugehen. Er vermutete bei genauerer Betrachtung des Stubben-Fotos eher Lärche. Und an Lärche lebt der Walliser Lackporling Ganoderma valesiacum. Der ist im LAUX nicht, und ich habe noch nie von ihm gehört. Ebenfalls überraschend für mich war, dass für die Bestimmung ein Stück Holz sogar hilfreicher als ein Fruchtkörper sein könnte.
Ein zweites Mal am Fundort
Wir sind also ein zweites Mal zum Fundort ausgerückt. Bewaffnet mit einer Säge und einem Eimer. Als erstes haben wir vorjährige, stark angewitterte Exemplare fotografiert:
Dem Substrat auf der Spur
Der Stubben hatte einen Durchmesser von geschätzt über 50 cm. Ein Bild von der Schnittfläche:
Die Rinde war schon sehr stark von Flechten bewachsen, so dass die Rinde kaum noch sichtbar und erkennbar war. Es gab nur eine einzige Stelle, an der die ursprüngliche Struktur der Rinde sichtbar war. Und die haben wir abgehackt und mitgenommen. Nachfolgend Fotos der Stelle mit der abgenommenen Rinde sowie Ober- und Rückseite des Rindenstückes.
Auf dem nächsten Foto ist der komplette Stubben zu sehen und der sog. "Nachbarbaum".
Nach diesem Foto hat mein Salzburger Kontakt das Habitat als typischen Lärchen-Fichtenwald bezeichnet, in dem man eine Tanne kaum vermuten würde. Damit war der Dunkle Tannen-Lackporling (Ganoderma carnosum) aus dem Rennen.
Der Nachbarbaum
Was auf dem Foto nicht besonders gut zu erkennen ist, es wuchs ein Nadelbaum (Fichte) praktisch direkt aus der Seite des Stubbens heraus. Da stellte sich die Frage, ob das ursprünglich mal zwei sehr nah bei einander wachsende, gleiche Bäume waren, oder ob der noch stehende sich einfach so dicht daneben oder sogar auf dem Stubben entwickeln konnte. Also sicherheitshalber auch das noch ausführlich dokumentiert:
Diesen Nachbarbaum hat mein Salzburger Kontakt als Fichte bestimmt.
Und wenn man die beiden Rindenfotos direkt neben einander legt, dann sticht eigentlich ins Auge, dass es unterschiedliche Baumarten sein müssen – und das Substrat des Holzpilzes keine Fichte sein kann.
Anhand der nachgelieferten Fotos war sich mein Kontakt "ziemlich sicher", dass es sich beim Substrat um Lärche handeln müsse. Die in Frage kommenden Arten der Gattung Ganoderma sind eben nicht vorrangig nach den Fruchtkörpern zu bestimmen, sondern auch bzw. nach dem Substrat, möglicherweise auch nur per Barcoding – und über die Trennmerkmale scheint sich die Wissenschaft noch hinreichend uneinig zu sein. Die gestielten Lackporlinge gelten als sehr schwierige, taxonomische Gruppe.
Und natürlich haben wir auch ein paar Fruchtkörper mitgenommen.
Auf dem Foto wirken die Fruchtkörper ausgesprochen kompakt und fest. Aber tatsächlich waren sie erstaunlich weich, fast labberig, und bei den ganz großen hatte sich die Huthaut vom Hutfleisch gelöst. Der Geruch frischer Fruchtkörper war feinsäuerlich, ähnlich wie der Geruch vom Rotrandigen Baumschwamm (Fomitopsis pinicola).
Das Stück Rinde und einen Fruchtkörper haben wir per Post an meinen Kontakt in Salzburg geschickt. Keine Ahnung, ober er das Paket erhalten hat.
Kommt der Habicht ins Spiel
Per Zufall hatte ich zu der Zeit gerade E-Mail-Kontakt zu Peter (Habicht) und ihm von meinem Glücksfund berichtet. Er war so sehr daran interessiert, dass er uns besucht hat, am Fundort selbst Fotos gemacht und auch Fruchtkörper und ein Stückchen Holz (3 x 2 x 0,6 cm) mitgenommen hat. Das sollte sich als Glücksgriff herausstellen, denn die ganze Bestimmungsfrage lief zielsicher darauf hinaus, zweifelsfrei zu klären, an welchem Holz die Pilze fruktifizierten.
Holzbestimmung
Ein Bläserkollege ist promovierter Holzfachmann (ich nenne ihn liebevoll "Holzmichel"), dem ich die Fotos vom Stubben und der Borke vorgelegt habe. Er hielt das Substrat tendenziell für Lärche, aber man müsse eine Holzprobe mikroskopisch untersuchen. Das hat mich sehr verblüfft.
Hanausek, 1901 [2]
Nach HANAUSEK [2] ist "es ausserordentlich schwierig, Fichten- und Lärchenholz nach mikroskopischen Charakteren auseinanderzuhalten. … sobald es sich um altes, äusserlich stark vermodertes Holz oder um kleine Splitter handelt, so bedarf es einer sehr eingehenden Untersuchung. …Die Holzzellen des Lärchenholzes sind länger, breiter, dickwandiger, die Tüpfel grösser und viel häufiger in zwei Reihen an den Radialwänden der Frühlingstracheiden ausgebildet, als bei der Fichte. Die Markstrahlen der der Lärche sind … in der Regel verharzt." Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal sind sog. "Zwillingstüpfel", durch die die Holzzellen mit einander verbunden sind. Diese Zwillingstüpfel sind bei Lärche häufig, bei Fichte sind sie selten und verlaufen eher einreihig.
Bevor es an's Mikroskopieren gehen kann…
Hier hat der Peter sich von seiner hartnäckigen Seite gezeigt und einen Pilzfreund aus Bayern gefunden, der sich mit Holzmikroskopie etwas (mehr) auskennt. Zuvor aber hat Peter sich mit der Holzmikroskopie im Allgemeinen auseinandergesetzt und sich das Buch "Holzbestimmung mit dem Mikroskop" von Bernd Miggel [3] zugelegt. So ging Peter davon aus, dass man das zu mikroskopierende Holz mit Etzold-FCA (Etzold-Blau) einfärben muss. Mein Eindruck ist, dass diese Chemikalie zu beschaffen nicht ganz einfach ist. Im Mikroskopie-forum.de [4] bekam Peter den Hinweis, dass bei vermutetem Lärchenholz die Einfärbung nicht notwendig sei, sondern dass viel entscheidender die Hoftüpfel seien: zweireihige Hoftüpfel sprächen für Lärche. Man beachte den Konjunktiv, noch ist alles Theorie.
… muss das Holz vorbereitet werden
Im Mikroskopie-Forum wird empfohlen, aus dem zu bestimmenden Holz einen Würfel mit 1 cm Kantenlänge herauszuarbeiten. Hm, die vorhandene Holzprobe war zumindest in einer Dimension deutlich kleiner. Dann muss ein sehr dünner Feinschnitt angefertigt werden. Die Probe war inzwischen in Bayern angekommen, bei Peters Pilzfreund THOMAS KASSEL. Thomas berichtet zum Holz: Es ist extrem hart und sehr trocken, so dass Feinschnitte als Längs- und Tangentialschnitte schwierig zu bewerkstelligen sind. Den für Lärche typischen abrupten Übergang von Frühholz zu Spätholz konnte Thomas am Querschnitt unter dem Binokular ausmachen:
Wie man dem Mikroskopie-Forum entnehmen kann, sind die Fotos von Holzquerschnitten. Die weitmaschigen Anteile gehören zu den "Frühholztracheiden", das darunter liegende kompakte Material gehört zu den "Spätholztracheiden". Ehrlicherweise tu ich mich ziemlich schwer mit der Begrifflichkeit der "Tracheiden". Hier kann Wikipedia [5] weiterhelfen: Tracheiden sind langgestreckte Holzzellen, die der Wasserleitung dienen; dabei wird das Wasser von den Hoftüpfeln von einer Zelle zur nächsten transportiert.
Die grünen Streifen (orangefarbener Pfeil) sind Harzgänge. Und die sind ganz wichtig, weil damit schon Laubholz endgültig ausgeschlossen ist. Harzgänge gibt es nur bei Nadelholz.