Amselgesang - neuer Dialekt?

  • Hallo Ihr lieben Vogelkenner!

    Ich habe da mal eine Frage: Amseln kennen wir ja nun alle seit unserer Kindheit.

    Wie Amseln klingen, das wissen wir auch alle.
    Der geneigte Amsel-Zuhörer kennt auch verschiedene Gesänge:
    Frühlings-Werbegesang,
    Warnrufe bei Katzenalarm,
    aufgeregtes Geschimpfe
    und abendlicher Gesang im Sommer.

    Und sicher gibt es da noch mehr.

    Dann, vor ein paar Jahren gab es bei uns nach dieser Vogelseuche so gut wie keine Amseln mehr. Jetzt, da sich der Amselbestand wieder erholt hat, singen sie auch wieder in unseren Gärten.

    Wäre da nicht ein "aber"...

    Die morgendlichen Gesänge erkenne ich, das Singen auf dem Dach und die Warnrufe. Aber "meine" Amseln haben noch einen neuen Dialekt, wie mir scheint. Sie haben einen ganz merkwürdigen Abend"gesang", der eine Mischung aus dem aufgeregte Gekecker und irgendwelchen anderen Tönen zu sein scheint. Das höre ich dieses Jahr zum ersten Mal.

    Wie ist es, habt Ihr auch so etwas festegestellt? Kann es sein, dass die "neuen" Amseln einen andern Dialekt mitgebracht haben, oder entwickelt haben?

    Ich bin gespannt auf Eure Antworten und hoffe, dass mir da jemand was zu sagen kann.

    Herzliche Grüße,
    Tuppie

  • Liebe Susanne ,

    Es ist sehr interessant was du hier beobachtest hast !
    Wir haben dieses Jahr viele Amseln ums Haus ,liegt wohl mit an den Hecken und Bäumen ,dem Wasserangebot und der Winterfütterung.
    Sie sind zutraulicher als eh und je.

    Meine Frau sagt neulich zu mir ,ist dir schon aufgefallen,daß diese Amsel schöner und kräftiger singt als gewohnt.
    Die kleine Variation in der Melodie mag aber normal sein.
    Eine Mischung aus Alarmlaut und Gesang konnte bisher ich nicht feststellen.

    Wenn diese Amsel sich in 2-3 Meter Entfernung niederlässt um zu singen ,geht sie mit mir einen Wettstreit ein -ich versuche sie nachzuahmen.
    Neulich hatte sie den Schnabel voll dicker Regenwürmer ,die sich noch bewegten .Ich pfiff wieder und sie antwortete mit vollgestopftem
    Schnabel.

    Kurz zuvor lag die auf dem Bauch in praller Sonne und offenem Schnabel ,wie später noch am Brunnen .

    Jeder weiss was ,zusammen wissen wir viel und insgesamt wissen wir viel zu wenig !

  • Amselm sind sehr variabel in ihrem Gesang. Sie bauen auch gerne mal andere Geräusche darin ein.
    Es kann durchaus mal sein, dass in den Büschen mitten im Amselgesang ein "Handy" klingelt, das war dann ein Amselspezialton.
    Und ja, auch bei einigen Vogelarten gibt es lokale Dialekte (z.B. Buchfink)


    Viele Grüße

    Dirk

  • Ich habe vor einigen Jahren darüber gelesen, dass etwa Blaumeisen in England anders klingen als in Deutschland. Also wirklich einen anderen "Dialekt sprechen". Mir erscheint das durchaus plausibel, zum einen,weil in der uns vertrauten Natur ohnehin alles im Wandel ist, zum anderen weil es alle möglichen Anpassungsprozesse gibt.

    So sollen Singvögel in geräuschintensiver (städtischer) Umgebung angeblich lauter singen als in der vergleichsweise ruhiger Natur. Ich halte das für möglich, wenn es auch für den Laien schwer nachprüfbar ist.

    Der uns so vertraute Gesang der Amsel ist in Wahrheit mit seinen melodiösen und flötenden Elementen (die um allerlei dekorative Schnörkel ergänzt werden) wenig greifbar und jede neue Strophe unterstreicht nochmal die Komplexität dieses Gesanges.

    Bei der geschilderten Mischung von Warnlauten und anderen Tönen scheint es mir vor allem wichtig zu klären, ob es sich wirklich um verschiedenene Tiere handelt oder um ein und dasselbe Exemplar.
    Individuelle Abweichungen von der Norm wird es immer geben, ob sie sich durchsetzen und auf Dauer erhalten bleiben ist eine andere Frage.

    "Wenn Du in ein Land kommst, wo alle Welt den Löwen nachmacht, kannst Du nicht die Ziege nachmachen!" (Afrikanisches Sprichwort)

  • Hallo Ihr Lieben!
    Interessante Posts und Aspekte, danke für Eure Beteiligung an meinem Thread ohne Foto.

    Nun, ob das nur eine Amsel ist, kann ich nicht wirklich sagen. Möglich ist es aber, da Amseln ja auch von verschiedenen Ansitzen singen.
    Gut möglich, dass es sich um eine Amsel mit einer etwas eigenen Art sich auszudrücken handelt. :32:

    Herzliche Grüße,
    Tuppie

    Einmal editiert, zuletzt von Tuppie (9. Juli 2019 um 15:33)

  • Hallo zusammen,

    Dialekte gibt es auf jeden Fall in der Vogelwelt und das zahlreich. Der Buchfink wurde schon als Beispiel genannt. Damit man das besser nachvollziehen kann, noch eine kurze Erklärung. Zum einen gibt es natürlich wie bei uns Menschen auch Eigenarten, die besonders beliebt sind. Ein zusätzlich geschlagener Haken in der Melodie kommt gut an und schon findet er in der Nachbarschaft erste Nachahmer. Außerdem sind Jungvögel aber auch noch etwas ungeschickter. Die schwierigen Strophen kriegen sie nicht sofort hin. Nach dem Amselsterben gibt es natürlich vermehrt jüngere Amseln. Vielleicht kommen daher der neue Gesang in deinem Garten.
    Wenn Vögel isoliert leben, entwickeln sie sich auseinander. Ein Krasses Beispiel sind z.B. Nebelkrähe und Rabenkrähe, die ursprünglich eine Art waren, dann in der Eiszeit wurden die einige Krähen von den anderen isoliert und entwickelten sich in eine andere Richtung als der Rest. Auch der Grün- und der Grauspecht sind ein Beispiel dafür. Um auf den Buchfink zurückzukommen, gibt es noch ein weiteres Beispiel: Den Madeira-Buchfink. Das ist eine Unterart, die nur auf Madeira vorkommt und sich unter anderem im Gesang von der Festlandpopulation unterscheidet.
    In Deutschland gibt es übrigens auch vom Ortolan verschiedene Dialekte, die man auch tatsächlich so nennt. Die Population in Süddeutschland singt eine sehr unterschiedliche Strophe im Gegensatz zu den Ortolanen der östlichen Bundesländer.

    Zum Schluss noch ein lustiger Vogel, der das Thema Imitationen perfekt verdeutlicht, der australische Lyrebird: Schaut ihn euch hier an: https://www.youtube.com/watch?v=VjE0Kdfos4Y oder besser noch: Seid kritisch und sucht selber danach. Es gibt genug unglaubliche Videos über ihn.

    Beste Grüße,
    Stefan

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    Lifelist:
    Vögel:
    - Deutschland: 276, Seidenschwanz

    - Welt (2024): 301 (154), Seidenschwanz (Baumpieper)

    - (Garten): 120, Kurzschnabelgans

    Wirbellose: 1.626, Gibbaranea bituberculata

  • Hallo Stefan!
    Danke für Deine ausführliche Antwort! Sie bestätigt zum Teil meine Vermutung mit dem "Generationenwechsel" nach dem Amselsterben. (Gibt es Zahlen darüber, wie alt eine Amsel im Schnitt wird, wenn keine Seuche dazwischenfunkt?)

    Zum anderen habe ich meine Kandidaten noch einmal verstärkt beobachtet: es handelt sich wohl wirklich um ein Exemplar, das - meiner Meinung nach - einen Sprachfehler hat. Noch nie habe ich eine Amsel so verrückt "sprechen" hören.
    Ich würde es gerne mal aufnehmen, aber dazu fehlt mir leider die Technik.

    Herzliche Grüße,
    Tuppie

  • Hallo zusammen,
    nicht nur in der Vogelwelt gibt es "Dialekte", auch bei Hummeln und anderen Bienen gibt es sie.
    Die Männchen aus verschiedenen Ländern "Brummen" zur Partnerfindung verschieden. Das führt unter Laborbedingungen dazu, dass sich Weibchen teilweise nicht mit Männchen aus anderen Ländern paaren wollten. Untersucht hatte das 2013 / 2014 ein Team um Dr. Manfred Ayasse. Die Ergebnisse wurden u.a. bei der Hymenopterolgen-Tagung 2014 in Stuttgart präsentiert (ich finde gerade das Paper dazu nicht).

    Grüße
    Andreas

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