Bei den letzten "Wildpferden" Europas

  • Ich habe länger überlegt, ob es thematisch hier her passt, oder nicht; da aber das Wildpferd einst hier ebenso heimisch war wie Dachs oder Reh, denke ich, es passt doch recht gut ;). Ich war voriges Jahr im Exmoor Nationalpark in Südengland, und habe dort das Glück gehabt, eine kleine Herde der dort wild lebenden Exmoor-Pferde beobachten zu können.
    Exmoor-Pferde (oder -Ponys) sind zwar keine echten, prä-domestizierten Wildpferde, doch leben sie seit ca. 1000 Jahren wild in den Hochmooren des Exmoor-Waldgebiet und dienten dem Adel als Jagdwild. Sie stammen vermutlich von keltischen Landrassen ab, die in der Antike auf die Insel gebracht wurden und sind ihrer Stammform, dem westeuropäischen Wildpferd, noch ziemlich nahe: gleiche Färbung (Mehlmaul und helle Unterseite auf brauner Grundfarbe, einfärbige Hängemähne und dunkle Beine) und gleiche Größe und robuste Statur (130 cm Wiederrist).
    Es war ein hochinteressantes und schönes Erlebnis, eine Herde dieser ursprünglichen und schönen Pferde beobachten zu können. Es war eine kleine Gruppe bestehend aus Stuten und Hengsten, sowie einem Fohlen. Als ich mich näherte, wurden sie nervös und entfernten sich langsam.

    Das obere Photo auf dem eingefügten Bild zeigt Exmoors im Exmoor Pony Centre, wo "überzählige" Tiere gehalten und wirtschaftlich genutzt werden, um den Schutz dieser besonderen Rasse vorantreiben zu können. Ihr kleiner Lebensraum bietet nur einer begrenzten Zahl an Pferden platz.
    Das untere Photo habe ich von der wild lebenden Herde geschossen:

    [Blockierte Grafik: http://farm7.staticflickr.com/6108/6220207822_aa1e6ef77f_b.jpg<br>]

    Weitere wilde Pferde gibt es sonst noch in Iberien, wo die mit dem Exmoor verwandten Garranos und Pottokas leben, sowie in Oostvaardersplassen, wo eine große Stückzahl der Konik-Pferde existiert, die dort seit 20 Jahren ohne viel menschliches Zutun leben. Auf dem Balkan und im Donauraum gibt es noch weitere alte Robustrassen, die wild vorkommen und wahlweise dem Konik-typ oder dem Exmoor-typ ähneln. Das Wildpferd wurde also zwar in Europa ausgerottet, aber dennoch gibt es hier und da Ökosysteme, in denen ihre Nische von ihren Nachkommen ausgefüllt wird.

    Ich hoffe das war interessant,

    LG

  • Hallo Allosaurus,

    danke für Deinen interessanten Beitrag! Dass es in England wildlebende Pferde gibt, davon habe ich nichts gewusst. Das kann ich mir gut vorstellen, dass es ein Erlebnis war, diesen Pferden in freier Wildbahn zu begegnen.

    Als Wildpferderasse sind mir nur die Przewalski-Pferde bekannt. Sind das europäische Wildpferde, oder?

    LG Brigitte

    [hr]
    Nicht von Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles. Aber im Laufe der Zeit finden wir, suchend, das Bess're.

    Xenophanes

  • Hallo Brigitte,

    Eigentlich hat nur das Przewalski-Pferd als weitgehend unverkreuztes, niemals domestiziertes Wildtier überlebt; es ist also das einzige echte Wildpferd, Equus ferus przewalskii. Diese wurden in freier Wildbahn bereits ausgerottet (und teilweise wieder ausgewildert), ihr ursprünglicher Lebensraum waren die Steppen Asiens und des Kaukasus, wohl durch den Ural und die Tundra begrenzt. Ein anderer Name für das Przewalski-Pferd ist Mongolisches Wildpferd. In Europa und dem Nahen Osten gab es weitere, andere, Wildpferdetypen, welche sich vor allem durch die Hängemähne von ihrem mongolischen Verwandten unterschieden. Aus ihnen gingen die Hauspferde hervor. Für Europa werden üblicherweise zwei Subtypen unterschieden, Equus ferus sylvaticus (Steppentarpan, Osten), und Equus ferus gmelini (Waldtarpan, Westen). Die Wahrheit war wohl komplexer, mit vielen regionalen Subtypen. Es gibt heute noch Rassen, welche diesen Pferden äußerlich und vom Körperbau her weitgehend entpsrechen, wie eben das Exmoor, welches stark an den west- und evtl. mitteleuropäischen Tarpan erinnern dürfte. Dann gibt es noch die Koniks und die Fjordpferde, welche durch ihre Falbfarbe wohl dem östlichen Typ entsprechen dürften. Man muss sich jedoch immer vor Augen halten, dass das ursprüngliche echte Wildpferd Europas in den vorigen Jahrhunderten vom Menschen ausgerottet wurde.

    Zu unterscheiden ist natürlich immer zwischen wild und verwildert; so sind etwa Mustangs zwar wild lebend, doch keine echten Wildtiere wie das Przewalski-Pferd. Manche Rassen, wie das Exmoor, bewegen sich da wohl so in einer Art Graubereich.

    In England gibt es übrigens auch noch eine völlig wilde, faszinierende Rinderrasse. Ich werde sie in den nächsten Wochen besuchen und dann ebenfalls darüber berichten.

    LG,

    Allosaurus ;)

    Einmal editiert, zuletzt von Allosaurus (22. Juli 2012 um 17:42)

  • Hallo Allosaurus,

    ja, die Exmoor-Pferde passen in eine Grauzone zw. Wildpferden und verwilderten Pferden, das hatte ich auch so verstanden. Danke für Deine Ausführungen zum Przewalski-Pferd.:)

    LG Brigitte

    [hr]
    Nicht von Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles. Aber im Laufe der Zeit finden wir, suchend, das Bess're.

    Xenophanes

    Einmal editiert, zuletzt von Waldgitti (22. Juli 2012 um 19:25)

  • Das ist wirklich interessant... danke für die Infos.... hast du noch mehr Fotos von den Wildlebenden Pferden?

    Die Przewalski - Pferde wurden am Neusiedler See wieder ausgewildert, soweit mir bekannt ist...

    LG Silke

  • Ja, ich habe noch mehr Bilder von den Exmoor-Pferden; hier habe ich noch zwei zusammen gestellt:

    [Blockierte Grafik: http://farm9.staticflickr.com/8020/7624333190_c82e56e784_b.jpg]

    Auf diesen Photos erkennt man die Wildmerkmale wie das Mehlmaul, die helle Körperunterseite und die kurze Mähne gut. Die Herde zählte insgesamt 6 Tiere. Die südenglische Landschaft ist, obwohl Kulturlandschaft, perfekt für Europäische Wildpferde - sie ist ein Mosaik aus Grasflächen, Buschlandschaften und offenen Wäldern. Und übrigens ein Traum für eine Wanderung.

    ----

    Ja, Przewalski-Pferde gibt es in Neusiedl, doch handelt es sich genau genommen nicht um eine echte Auswilderung, sondern um ein Beweidungsprojekt, d.h. die Pferde werden in extensiver Weidelandschaft gehalten, was zu einer Renaturierung der Landschaft führen soll. Wasserbüffel, Hausesel und Steppenrinder sind in Neusiedl ebenfalls zu finden, doch nicht alle am gleichen Ort. Neusiedl ist das einzige Beweidungsprojekt als solches, das mir in Österreich bekannt ist. In Deutschland gibt es ja dutzende, wo neben Koniks en mass und Robustrindern auch hier und da Przewalski-Pferde und Wisents, also echte Wildtiere, gehalten werden; siehe etwa Döberitzer Heide. Beweidungsprojekte sind wohl das Maximum, dass im dichter besiedelten Mitteleuropa an Großwildansiedelung möglich ist (ist auch gut so, sonst hätte man bereits überstürzt ein paar wenig authentische Haustierrassen in die Wildnis entlassen).
    In Hortobagy, Ostungarn, gibt es allerdings ein Projekt, welches eine echte Auswilderung von Przewalski-Pferden in einem Schutzgebiet in der Puszta anstrebt. Obwohl Przewalskis im Holozän wahrscheinlich nicht in Europa vorkamen, ist die ostungarische trockene Steppe wohl gut für die Tiere und die Tiere gut für sie geeignet. Auch in Tschernobyl gibt es Przewalskis, allerdings sind diese leider nicht voll reinerbig.
    Für das restliche Europa ist eher auf die Tarpan-ähnlichen Rassen zu setzen. Exmoor-Pferde werden etwa von einigen sog. Rewilding-Organisationen wie Rewilding Europe für die Wiederansiedelung in geeigneten Reservaten ausgewählt. Über kurz oder lang werden Exmoor und Oostvaardersplassen nicht mehr die einzigen Orte sein, in denen man fast-Wildpferden wild begegnen kann, und dann wahrscheinlich auch in größeren Herden wie in den alten Zeiten ;)!

    LG,

    Allosaurus

  • Grüß dich, Allosaurus,
    vielen Dank für diesen informativen und fein bebilderten Bericht über die Wildpferde in England. Auch in Deutschland gibt es noch Wildpferde, und zwar im Merfelder Bruch in Dülmen im südlichen Münsterland. Die Tiere leben dort völlig frei und es wird nur sehr wenig eingegriffen.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Silke,
    weiß ich, ich war nämlich schon dort (als ich zwischen 2003 und Ende 2005 in Gelsenkirchen gearbeitet habe). Sie leben zwar in Umzäunung, aber dortdrin frei. D.h. dass kranken Tieren nicht geholfen wird, die Vermehrung im Prinzip nicht gesteuert wird, dass keine Futtergaben erfolgen etc. Der einzige Eingriff, der dort gemacht wird, ist dass einige Junghengste zum Herbst hin aus der Herde entnommen werden, weil das Areal nicht für den "Bedarf" mehrerer Leithengste ausreichen würde.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

    Einmal editiert, zuletzt von Sabine Flechtmann (23. Juli 2012 um 14:00)

  • Hallo Sabine,

    die Dülmener Pferde sind leider keine wirklichen Wildpferde: möglicherweise dürften sie tatsächlich auf sehr ursprüngliche oder prädomestizierte Wildpferde aus dem 14. Jhdt zurückgehen, doch wurden sie seit dem 19. Jhdt immer wieder und in großem Umfang mit verschiedenen Pferderassen verkreuzt. Darunter sind Welsh-Ponys, Exmoors, Huzule, und nach WKII in großem Umfang Koniks. Von den ursprünglichen Pferden dürfte also kaum noch etwas übrig sein, zumal das alles verschiedene Pferdetypen sind, mit denen gekreuzt wurde. Es entspricht zu einem großen Teil dem Konik sehr, da fast nur noch Konikhengste zur Zucht verwendet wurden, ist allerdings viel heterogener und trägt mehr Hauspferdemerkmale in sich. Für die Wildpferd-Thematik ist das Dülmener also in folge der Kreuzungen wenig relevant geworden, was sehr schade ist (ansonsten hätte man es vielleicht mit einer Reliktform des mitteleuropäischen Wildpferds zu tun, oder einer seit langem wild lebenden Rasse). Dass es dennoch als "Wildpferd" promotet wird, liegt wohl daran, dass sich das wesentlich besser vermarkten lässt. Sie sind zwar keine echten Wildtiere aber sicherlich hübsch anzusehen.

    LG,

    Allosaurus

  • Hallo Allosaurus,
    das ist ja ein Ding, das scheint tatsächlich eine Marketingmasche zu sein. Das habe ich so tatsächlich nicht gewußt.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Sogar noch brutaler ist ein derartiger Etikettenschwindel, wenn in Zoos Koniks als "Tarpane" (noch durchaus entschuldbar) und Heckrinder als "Auerochsen" (keinesfalls entschuldbar) hergezeigt werden. Vor allem große und tolle Zoos wie Hellabrunn haben so eine Schwindelei doch eigentlich nicht nötig. Ich finde das besonders schade, schließlich sind es doch gerade Zoos, die die Aufgabe haben, interessierte Laien zoologisch zu informieren, und nicht zu mis-informieren. Auch Beweidungsprojekte übernehmen diese Falschbenennung, um ihre Legitimation in der Öffentlichkeit leichter zu erklären. Dies hat jedoch manchmal schlimme Folgen, wenn etwa unauthentische Haustiere aufgrund so einer Flunkerei plötzlich frei in die Natur entlassen werden, damit die Natur gewissermaßen verfälschen und den Platz für echte Wildtiere nehmen. Dies ist m.M.n. in Oostvaardersplassen mit den Heckrindern z.T. der Fall.

    LG,

    Allosaurus

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!