In seiner amüsanten Erzählung "Der zweckmässige Meyer" entwirft Hermann Löns die Figur eines Menschen, der sich scheinbar in der Natur bestens auskennt. Für ihn besteht die Tierwelt aus logischen und mit menschlicher Ratio nachvollziehbaren Zusammenhängen.
Und so beglückt er seine Begleiter bei gemeinsamen Naturexkusionen mit allerlei Beispielen für die Zweckmässigkeiten in der Natur. Der Ich-Erzähler in der Geschichte findet dummerweise für jede Zweckmässigkeit Widersprüchliches, die das ganze Erklärungsmodell infrage stellen und allerlei blinde Flecken in der scheinbar logischen Erklärung findet.
An diese empfehlenswerte Geschichte muss ich immer denken, wenn ich versuche mir einen Reim auf tierisches Verhalten zu machen.
Neulich etwa war ich auf dem Heimweg von der Arbeit und war fast zuhause angelangt, als ich laute Vogeschreie vernahm, die ich rasch als Möwenschreie identifizierte. Erst als ich den Gebäudekomplex passiert hatte , sah ich wie eine Silbermöwe immer wieder auf einen trägen Bussard herunterstiess, der nur widerwillig auswich und sich wohl selber wunderte, was das ganze Theater sollte.
Ehrlich gesagt kenne ich ein solches Verhalten auch eher von Krähenartigen. Und da geht die "Hierarchie" von unten nach oben. Die Elstern "hassen auf" die Krähe, die Krähe wiederum auf den Kolkraben. Aber auch Greifvögel zeigen Ähnliches, etwa wenn sie einen Uhu attackieren.
Nun scheint es dafür logische (zweckmässige) Erklärungen zu geben: Der potentielle Beutegreifer oder Nahrungskonkurrent soll vertrieben werden, ihm soll signalisiert werden : "Hier hast Du nichts verloren, zieh weiter!" Drüber hinaus wird bei sozial lebenden Vogelarten wie etwa Krähen oder Dohlen den Jungtieren gezeigt ,wer der Todfeind ist.
Und diese Prägung "sitzt" bei den Jungtieren und ist auch später durch andere Erfahrungen nicht zu löschen. So erinnere mich an einen Episode von Konrad Lorenz. Er wollte sich die Nistgelegenheiten seiner Dohlen ansehen und fürchtete bei dieser Aktion für immer und ewig als Feind etikettiert zu werden.
Ihm blieb nur eines übrig: Er musste sich in ein albernes Kostüm stecken, um nicht erkannt zu werden und später in seiner Alltagserscheinung mit seiner Aktion nicht in Verbindung gebracht zu werden.
Dazu will es aber nun wieder nicht passen, dass Krähen mit viel Kraftaufwand auch Turmfalken verfolgen, der ihnen nun wirklich nichts zuleide tut. Gleiches gilt für die obern genannte Möwe, die sicher vom Bussard nichts zu befürchten hat und auch das Nahrungsspektrum mit ihm nicht teilen muss.
Darüber hinaus birgt dieses Verhalten ja auch Risiken. Ich war einmal auf einem Sportplatz joggen als pötzlich aus einer Baumgruppe, die den Platz umschloss ein Habicht "herausbrach", verfolgt von zwei Nebelkrähen. Die Attacken waren durchaus gegenseitig und ich konnte bei dieser Gelegentheit zum ersten Mal sehen, wie unglaublich wendig und geschickt Krähen fliegen können, dennoch entgingen sie oft nur knapp den Gegenattacken des Habichts.
Auf der anderen Seite wird die Situation für einen von Krähen verfolgten Habicht schnell brenzlig, zumal wenn es sich um einen unerfahrenen, jungen Habicht handelt. So habe ich mehrfach erlebt, wie ein Habicht mit "Ach und Krach" in die Baumgruppe auf meinem Hinterhof fliehen konnte, sich dann minutenlang nicht mehr hinaustraute während die Krähen einen unfassbaren Alarm machten.
Sie riefen Artgenossen von weit her heran und kreisten immer bedrohlicher um den Habicht, stiessen immer dreister hinab. Die dann erfolgte Flucht des "Vogelfreien" war oft so überstürzt,dass leicht ein gebrochener Flügel hätte die Folge sein können.
Dennoch jagen Habichte weiterhin Krähen, der "erhoffte" Effekt tritt also nicht ein und nicht zuletzt Videos auf youtube beweisen, dass sich weder Habichte noch Falken von einer erbeuteten Krähe verteiben lassen, so gross der Tumult auch sei.
Wie zweckmässig ist also dieses Verhalten?
Ich rätsel noch...................