Liebe Naturfreunde,
inzwischen sind wir aus dem zweiwöchigen Solling-Urlaub zurück. Der sonst so höffige Straßenrand wurde leider "gepflegt", und es blühte auch kaum etwas. Also recht mager mit Insekten. Unsere Ferienwohnungsvermieter sind recht interessiert an meinen täglichen Straßenrandgängen, und so haben wir einige Fotos auf dem Fernseher angesehen. "Das sieht aus wie eine Zitronenrolle" war der Kommentar zu diesem ersten Foto:
Diese 6-mm-Raupe habe ich als zur Federmotte Emmelina monodactyla gehörig eingeordnet. Die Raupen ernähren sich eigentlich von Zaunwinden. Diese wachsen am Straßenrand kreuz und quer mit Brennesseln:
Ein bißchen näher heran an die Raupe:
Das Foto entstand am 04.08.2018 um 9:35 Uhr. Auffallen könnten dem geschulten Auge ein orangefarbener Punkt (linker Pfeil) und die Verfärbung am Rücken der Raupe (rechter Pfeil). Dazu notiert habe ich mir: parasitoidiert? Seltsame Verfärbungen sind sehr häufig ein Indiz dafür, dass eine Raupe parasitoidiert ist.
Überraschung am Nachmittag, 04.08.2018 um 16:41 Uhr: Die Raupe hat sich braun verfärbt.
Auch hier wieder zwei orangefarbene "Würstchen" unter der Raupe (siehe rote Pfeile). Und diese "Würstchen" waren offenbar mobil, auf dem nächsten Foto sind welche an anderen Stellen erkennbar:
Am 07.08.2018 war die Braunverfärbung noch intensiver geworden:
Wegen angesagtem (aber ausgebliebenem) Regen wurde die Brennessel abgeknipst und samt der Raupe in einer Dose mit etwas Wasser am Boden aufbewahrt. Ich war gespannt, ob da nun ein Falterchen schlüpfen würde - oder ein Parasitoid.
Am 13.08.2018 um 19:20 gab die Raupe ihr Geheimnis preis: Es strampelte eine Brackwespe im Wasser um ihr Leben (Hymenoptera => Bracodidae). Sie war 5 mm groß.
Beim Versuch, den Parasiten zu bestimmen, bin ich schon an der ersten Hürde gescheitert: Die Unterscheidung von Schlupfwespen und Brackwespen läuft über bestimmte Merkmale der Flügeläderung, die hier mangels Erkennbarkeit nicht ausgewertet werden kann. Also wurde ein anderer Weg gesucht: Gibt es im Web Erkenntnisse, welche Parasitoide an Emmelina monodactyla parasitieren? Da findet sich eine interessante Arbeit:
Peter TÓTH, MONIKA TÓTHOVA & LUDOVÍT CAGÁN: Emmelina monodactyla (Linnaeus, 1758) (Lepidoptera: Pterophoridae), its parasitizationa and potential as a biological control agent of Field or Lesser Bindweed (Convolvulus arvensis L.), veröffentlicht 2003 in der Entomologist's Gazette Nr. 54, Seiten 233 - 241.
https://www.researchgate.net/profile/Peter_…-arvensis-L.pdf
Die Autoren kommen zur Erkenntnis, dass die häufigsten Parasitoide an Emmelina monodactyla
a) die Brackwespe Aleiodes bicolor (SPINOLA, 1808), Familie Braconidae und
b) die Schlupfwespen Heterischnus truncator FABRICIUS, 1798 und Heterischnus sp.
sind.
Sucht man nun nach diesen Namen, dann findet man ein paar Abbildungen. Dabei sieht die Schlupfwespe völlig anders aus. Aber bei Boldsystems wird die Brackwespe Aleiodes bicolor abgebildet mit einigen guten Merkmalsübereinstimmungen mit meinem Fund:
Übereinstimmung in den zipfeligen Anhängen am Kopf:
Brust und Abdomenende schwarz, Ocellen vorhanden:
und Übereinstimmung in einem sehr auffälligen Merkmal: Am Hinterbein ist oder Oberschenkel über dem Knie seltsam stark verjüngt:
Diesen Parasiten nun als Aleiodes bicolor zu bezeichnen, ist zwar nicht wirklich wissenschaftlich korrekt, dafür bedürfte es sicher einer Untersuchung durch einen Parasitoiden-Spezialisten; aber aus der Summe der Erkenntnisse scheint mir die zumindest die Gattungszugehörigkeit als sehr wahrscheinlich.
In der Arbeit ist auch zu lesen, dass die parasitoidierten Raupen sich kurz vor dem Verpuppen des Parasitoiden braun verfärben. Na, welch ein Zufall!
Nachtrag: Ein Blick auf die Exuvie mit dem Ausschlupfloch:
Das Geheimnis der Zitronenrolle ist gelüftet.