Welche Limnephilidae (Nr. 7/2016) aus AT? => Halesus digitatus

  • Liebe Köcherfliegenkenner,
    über Nacht kam eine schöne, große Köcherfliege ans Licht, und sie saß heute früh noch dort. Als ich zur Kontrolle der Wand um die Ecke bog, hat sie sich ganz nach Eulenfaltermanier fallen lassen. Da auch gerade die Sonne um die Ecke kam, eine gute Gelegenheit für ein Foto. Die bedornten Beine weisen in die Familie Limnephilidae, das Abdomenende mit rundem Loch würde ich einem Weibchen zuordnen. Nach der Flügeladerung (Vergleich mit Fotos aus meinem Archiv) vermute ich die Gattung Halesus.

    Funddaten: Österreich, Bundesland Salzburg, Pinzgau, Salzburger Schieferalpen, Maria Alm, 1100 m, am Licht, 30. September 2016
    Größe: Kopf bis Apex 30 mm



    Am Foto ist das Tier vermutlich nicht bestimmbar? Aber vielleicht nach Jahreszeit und Größe eingrenzbar?

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Halesus cf. digitatus


    Liebe Sabine,

    mit Deiner Vermutung liegst Du völlig richtig :) . Es handelt sich hierum eine Limnephilide aus der Gattung Halesus, von denen ich gestern und vorgestern auch schon mehrere an der Hauswand hatte. Sie werden uns sicherlich noch den ganzen Oktober und November begleiten; ich hatte sie abends noch bei 5°C am Licht. Die Unterscheidung der vier Arten ist, wie Du vermutest, ohne Genital schwierig bis unmöglich. Halesus tessellatus habe ich in all den Jahren noch nie bei uns gefunden, H. rubricollis gilt in BW als ausgestorben. Recht verbreitet sind die beiden anderen Arten, die bei mir in etwa gleicher Häufigkeit vorkommen. Obwohl ich Einschätzungen der Färbung bei Köcherfliegen zur Artbestimmung sehr skepisch gegenüberstehe, scheint aufgrund meiner zahlreichen Fänge Halesus digitatus einen etwas helleren bräunlichen Farbton gegenüber Halesus radiatus aufzuweisen, weshalb ich hier zu ersterem (mit cf.) tendiere.


    Dass es ein weibliches Tier ist, erkennt man auch an der Haltung der Maxillartaster, auch wenn man nicht alle fünf Glieder sehen kann. Ich habe gestern auf die Schnelle und bei schlechten Lichtverhältnissen ein paar leider nicht optimale Aufnahmen gemacht, die aber das Wesentliche zeigen.


    Halesus digitatus dreigliedriger Maxillartaster, der in der Regel immer gestreckt gehalten wird. Nicht verwirren lassen vom direkt darunterliegenden Labialtaster, der u.U. die Ansicht des Maxillartasters "verfälscht" und die Anzahl der Glieder größer erscheinen lässt.


    Halesus digitatus fünfgliedriger Maxillartaster. In Ruhestellung werden die Tasterglieder mehrfach abgewinkelt.


    Abdomenende des Weibchens. Der Herr hat sich bei dem Fotoshooting leider nicht sehr kooperativ verhalten :D , sonst hätte man an den Anhängen die Unterschiede sehr schön sehen können.

    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    ganz herzlichen Dank für diese überaus ausführliche Antwort! Große Klasse, wie du mir die einzelnen Merkmale auch noch in Bildern veranschaulichst. Den Labillartaster habe ich erst gefunden, nachdem ich das Foto heruntergeladen und vergrößert habe. Nach der Liste der Köcherfliegen Salzburgs (Embacher et. al., 2011) sind im Bundesland alle 4 Arten der Gattung nachgewiesen.
    Im übrigen freut es mich sehr, dass ich dieses Mal die Grobzuordnung richtig hinbekommen habe :D .

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Sabine, liebe interessierten Forumer,

    damit die Erkennung der Geschlechter bei Limnephiliden mit Hilfe der Anzahl der Tasterglieder noch einmal ganz klar wird, habe ich sie in den Bildern farblich markiert:

    Und zur Lage der Taster am Kopf noch eine Abbildung:


    Anm.: Die Labialtasterglieder sind stets dreigliedrig!

    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    wunderbar, das ist wirklich äußerst hilfreich. Die Einzeichnung auf dem Männchen-Foto ist genauso wie ich es in der Vergrößerung zugeordnet habe. So ganz langsam lerne ich dazu, dankeschön, dass du mich dabei so überaus nett an die Hand nimmst.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Guten Morgen Sabine,

    zunächst vielen Dank für Dein Lob. Mir fiel gerade auf, dass die Genuszeichen in meinem Beitrag unter den großen Bildern nicht mehr angezeigt werden und durch ein Fragezeichen ersetzt sind. Ich meine, sie noch gestern richtig gesehen zu haben? Gibt es da einen Trick, um sie richtig darzustellen?

    Hier nochmals als Test: ♂♂♀♀
    Edit: Gerade gesehen, funktioniert nur bei der Erstellung des Beitrags!


    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    gestern waren die Genuszeichen noch da. Jetzt teste ich auch mal:
    mit der Tastatur erzeugt Männchen mit Alt+11 => ♂
    mit der Tastatur erzeugt Weibchen mit Alt+12 => ♀

    Ein weiterer, sicherer Weg führt über die Smileys, da hatte ich mal zwei Smileys selbst gebastelt:
    #male#female

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Zur Unterscheidung von Halesus digitatus und Halesus radiatus
    Liebe Sabine, hallo Forumer,


    weil in einem anderen Forum gerade wieder eine Köcherfliege der Gattung Halesus angefragt wurde, nachfolgend einige Bermerkungen zur Unterscheidung der beiden Arten:

    Peter Barnard gibt in seinem Bestimmungsschlüssel im Buch "The adult Trichoptera of Britain and Ireland" folgendes Unterscheidungsmerkmal an:

    H. digitatus: Die dunkle Zeichnung in den Apikalgabeln der Flügeläderung ist an den Rändern unregelmäßig ausgebildet.
    H. radiatus: Die dunkle Zeichnung in den Apikalgabeln der Flügeläderung bildet deutlich abgegrenzte lange Streifen.

    Zur Veranschaulichung zwei Links auf die Arten:Halesus digitatus vs. Halesus radiatus

    Ich bin ehrlich gesagt kein Freund solcher "Bestimmungsmerkmale", weil sie doch sehr von der persönlichen Empfindung und der individuellen Interpretation des Betrachters abhängig sind. Auf den beiden verlinkten Bildern mag man diese Merkmale noch erkennen, aber nachdem ich schon über 100 Tiere beider Arten untersucht habe, muss ich den Wert dieses Kennzeichens doch relativieren, weil es wohl recht variabel ist. Bei Sabines Bildern beispielsweise, bei denen es sich eindeutig um H. digitatus gehandelt hat, würde ich z.B. diese dunklen Streifen eher als "deutlich abgegrenzt" beurteilen. Zuverlässiger erscheinen mir da die Unterschiede in der allgemeinen Färbung (siehe weiter oben), aber zur Beurteilung dieser muss man eben schon viele Tiere verglichen habe.

    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    herzlichen Dank für diese Erläuterungen. Ich muss dir da recht geben, nach den Beschreibungen hätte ich die Zeichnung "meines" Tieres auch eher als deutlich abgegrenzt empfunden. Und den Gesamtfarbeindruck empfinde ich auch eher als hell.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Mitternächtlicher Besucher


    Liebe Sabine, hallo Forumer,

    Pünktlich zu Beginn der Geisterstunde setzte sich gestern Nacht bei 5°C Lufttemperatur dieser Besucher an unsere Balkontür und begehrte Einlass ;) - ein Männchen von Halesus radiatus. Nach dem Fotoshooting heute Morgen und einer für ihn nicht-letalen Untersuchung der Genitalarmaturen zur Absicherung der Bestimmung durfte er wieder fliegen.

    Ich stelle diese Aufnahmen nur deshalb hier ein, um noch einmal einen Eindruck über die Färbung dieser im Vergleich zu Halesus digitatus etwas dunkleren Art zu vermitteln und um auf die Fragwürdigkeit der Ausprägung irgendwelcher Strukturen hinzuweisen:

    Peter Barnard gibt in seinem Bestimmungsschlüssel im Buch "The adult Trichoptera of Britain and Ireland" folgendes Unterscheidungsmerkmal an:

    H. digitatus: Die dunkle Zeichnung in den Apikalgabeln der Flügeläderung ist an den Rändern unregelmäßig ausgebildet.
    H. radiatus: Die dunkle Zeichnung in den Apikalgabeln der Flügeläderung bildet deutlich abgegrenzte lange Streifen.


    Also bei diesem Tierchen hier sehe ich absolut keine deutlich abgegrenzte dunkle Zeichnung in den Apikalgabeln, obwohl es sich definitiv um Halesus radiatus handelt!

    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    das sind wunderbare Fotos von der Köcherfliege. Die deutliche dunkle Abgrenzung ist wirklich nicht zu erkennen, aber der insgesamt dunklere Farbeindruck schon.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

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