Köcherfliege Ptilocolepus granulatus? => Beraea cf. pullata

  • Liebe Naturfreunde,
    mit großer Freude hatte ich im März bemerkt, dass sich bei uns DER Köcherfliegenkenner von Deutschland angemeldet hat, Jürgen Gaul. Ich nehme das zum Anlass, meine Köcherfliegen nach und nach hier einzustellen und sie - wenn möglich - einer Eingrenzung oder Bestimmung zuzuführen.

    Ich fange an mit dem für mich spannendsten Fund. Den hatte ich schon einmal hier gezeigt:
    Funddaten: Österreich, Bundesland Salzburg, Salzburger Schieferalpen, Pinzgau, Maria Alm, 1100 m, Tagfund, 7. Juni 2013.
    Gemessene Größe: 5 mm

    Geschlüsselt hatte ich wie folgt:
    http://trichoptera-rp.de/html/familienschlussel.html

    1. Vorderflügellänge kleiner als 4,5 mm; Fühler kürzer als Vorderflügel; Körper u. Flügel dicht behaart --> 1a
    1a: Vorderflügel breit, normal geformt und geädert; Flügelspitzen gerundet ---> Familie Ptilocolepidae
    hier nur 1 Art in Rheinland-Pfalz: Ptilocolepus granulatus

    Grundsätzlich ist für mich immer noch offen, ob es Verwechselungsmöglichkeiten gibt.

    Aber dieser Tage bin ich auch auf eine Publikation über die Köcherfliegen-Arten in Österreich gestoßen:

    Eine ergänzte Liste der österreichischen Köcherfliegen (Insecta, Trichoptera), Hans Malicky
    Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, 41. Jahrgang, 1989
    Granulatus ist als einzige Art der Gattung Ptilocolepus gelistet.
    Für das Bundesland Salzburg war 1989 nur ein einziger Fund für Ptilocolepus granulatus geführt.

    Der Ergebnisbericht "Nationalpark Hohe Tauern, Tag der Artenvielfalt 2008", 11.-13. Juli 2008 im Wildgerlostal ist mir schon länger bekannt. Dieser Bericht gibt Ptilocolepus granulatus als Zweitnachweis für das Bundesland an.

    WARINGER & GRAF in "Ecology, morphology and distribution of Ptilocolepus granulatus (PICTET, 183) (Insecta: Trichoptera) in Austria" (in Lauterbornia 43: 121-129, 25.04.2002) geben die Art als "crenophilic species" montaner und subalpiner Regionen an. Beobachtete Flugzeit in Österreich Mai und Juni, Höhenlagen zwischen 200 und 1800 m.
    Die Bedeutung von "crenophil" konnte ich nicht herausfinden.

    Rein subjektiv verdichtet sich für mich das Gefühl, dass ich es hier mit einem Drittnachweis für das Bundesland zu tun haben könnte. Was natürlich richtig klasse wäre. Wenn es nichts zum Verwechseln gibt.

    Die Köcherfliegen saßen übrigens sehr zahlreich an einer Hausmauer, dort wo niemals Sonne hinkommt.

    Mal sehen, was @Juergen Gaul dazu sagt.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Sabine,


    Ich kann da zwar überhaupt nicht mitreden ,freue mich aber doch über deine Bilder von einem Tier ,welches mir aus dem Larvenstaium wohlbekannt ist. :alright:

    Jeder weiss was ,zusammen wissen wir viel und insgesamt wissen wir viel zu wenig !

  • Lieber Werner,
    danke vielmals, Köcherfliegenlarven sind mir leider bislang noch nie begegnet.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Sabine, hallo allerseits,

    zunächst herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung durch Sabine hier in diesem Forum und die Vorschusslorbeeren, die mir ungerechtfertigterweise zuteil wurden. DER Köcherfliegenkenner Deutschlands bin ich mit Sicherheit nicht, da gibt es eine große Anzahl wesentlich kompetentererTrichopterologinnen und –logen. Aber ich bin vielleicht der einzige Köcherfliegenbearbeiter, der ab und an zu Bestimmungsanfragen von Köcherfliegenin den diversen Foren seinen Senf abgibt.

    Sabine hat mit ihrer Anfrage für den Anfang gleich eine ganz harte Nuss präsentiert, weil es nämlich bei den Trichopteren eine große Anzahl kleiner, schwarz oder schwarzbraun gefärbter, schwer zu unterscheidender Arten gibt. Ein Problem der Schlüssel für Köcherfliegenimagines besteht darin, dass meist gleich zu Anfang zu entscheiden ist, ob es sich um ein Tier mit einer Flügellänge unter 5 mm - oder 4,5 mm wie in dem von Dir zitierten Schlüssel von der Seite von Peter Neu - mit starker Behaarung der Flügel handelt. Mit diesem Merkmal will man in diesem ersten Schritt zu der Familie Hydroptilidae führen. Nun gibt es leider andere Arten,deren Vorderflügellänge sich ebenfalls in dieser Größenordnung bewegt, die aber zu anderen Köcherfliegenfamilien gehören. Behaart sind natürlich auch deren Flügel, wie es bei allen Trichoptera-Arten "standesgemäß" mehr oder weniger der Fall ist. Nur stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen starker und weniger starker Behaarung bestehen soll. Und genau das ist die Problematik bei den dichotomen Schlüsseln, die eine (subjektive) Entscheidung des Anwenders zwischen zwei Merkmalseigenschaften erfordern, welche bei einer falschen Entscheidung zu einem falschen Ergebnis der Bestimmung führt.

    Ich würde bei dem vorgestellten Tierchen durchaus große Ähnlichkeiten mit den beiden Beraea-Arten aus der Familie Beraeidae oder auch mit den dunkel gefärbten Arten aus der Familie Glossosomatidae sehen (Flügellängen bei allen genannten ca. 4-5 mm), weshalb ich mit einer Bestimmung als Ptilocolepus granulatus sehr zurückhaltend wäre, auch wenn ich damit Deiner Euphorie über einen möglichen Drittnachweis für Salzburg leider einen herben Dämpfer verpassen muss ;) . Alle oben genannten Arten sind übrigens im Larvenstadium Bewohner der Quellen und Quellbäche, also quell-liebend= krenophil (=crenophilic), womit dieser Begriff auch erklärt wäre.

    Der Nachweis eines Erst- oder auch Drittvorkommens einer Art würde im Übrigen ohne Belegtier sicherlich auch nicht wissenschaftlich anerkannt werden. In dieser Hinsicht stelle ich übrigens immer wieder fest, dass es viele Insektenfreunde der fotografierenden Zunft offensichtlich einfach nicht übers Herz bringen,ein Tier zur Bestätigung der vermuteten Art für einen wissenschaftlichen Bearbeiter mitzunehmen.

    So, das war nun ein längerer erster Beitrag von mir als geplant, bei dem wir folgendes Fazit ziehen können: Leider lässt sich in diesem Fall, wie so oft bei den Köcherfliegen, allein aufgrund des Fotos eine eindeutige Artbestimmung nicht vornehmen, was Dich aber hoffentlich nicht davon abhalten wird, hier weitere Köcherfliegenbilder einzustellen :) .

    Liebe Grüße
    Jürgen

    P.S.
    Die Gattung Ptilocolepus wurde bis vor wenigen Jahren als zur Familie Hydroptilidae gehörig betrachtet, bis man sie in eine eigenständige Familie Ptilocolepidae einordnete. Diese Zuordnung ist aber bis heute umstritten, so dass viele Autoren sie weiterhin bei den Hydroptilidaeführen.

    P.P.S.

    danke vielmals, Köcherfliegenlarven sind mir leider bislang noch nie begegnet.

    Na, dann solltest Du einfach mal in einem halbwegs sauberen Bach ein paar größere Steine umdrehen ;) !

  • Lieber Jürgen,
    für deine überaus umfassende Antwort danke ich dir sehr herzlich. Also gibt es doch Verwechselungsmöglichkeiten, ich hatte es befürchtet. Die Problematik der Bestimmungsschlüssel ist einerseits für den Laien wie mich schwierig, weil sie Entscheidungen fordern, die für den Laien gar nicht oder kaum möglich sind. Um über den Bestimmungsschlüssel zu den Beraeidae zu kommen, werden die Existenz von Ocellen oder die Spornzahl abgefragt. Bei der winzigen Art ist das am Foto eigentlich gar nicht möglich.
    Stand 1989 (Malicky) war im Bundesland aus der Familie der Beraeidae nur Beraea pullata CURTIS nachgewiesen. Es lässt sich so halt nicht klären.

    Sicher zutreffend ist deine Anmerkung, dass die Naturfotografen sich häufig scheuen, Tiere aus der Natur zu entnehmen, um sie wissenschaftlich fundiert bestimmen zu lassen. In diesem Punkt bin ich persönlich einen Schritt weiter. Wenn es der Wissenschaft und der Erkenntnis der Artenverbreitung dient, dann bin ich sehr wohl bereit, dies über Belegexemplare zu ermöglichen. Aber: das erfordert zum einen den passenden Kontakt und auch auf dessen Seite das Interesse in der Sache. Ich bin ja auch aktives Mitglied der Entomologischen Arbeitsgemeinschaft am Haus der Natur Salzburg, wo es aber keine dezidierten Trichopteren-Kenner gibt. Soweit mir bekannt, wurden Tiere in Kooperation determiniert. Das legt die Hürde schon etwas höher, und ein Anhaltspunkt auf eine seltenere oder "bessere" Art könnte hier schon hilfreich sein.

    Für die Nachtfalter habe ich aber beispielsweise im vergangenen Herbst höchstpersönlichen Besuch zweier Kollegen aus Salzburg gehabt, die sich u.a. einen Wiederfund nach über 100 Jahren fürs Bundesland sowie einen Erstnachweis fürs Bundesland abgeholt haben. Und damit sind wir auch bei der rechtlichen Frage in bezug auf Belegtiere. Für Salzburg (Bundesland) besitze ich noch keine Ausnahmegenehmigung zum Sammeln. Die turnusmäßige Beantragung läuft erst 2017 wieder, aber dann werde ich mit höchster Wahrscheinlichkeit im Besitz einer solchen Genehmigung sein. Bis dahin dürfte ich mir nicht einmal Totfunde aneignen. Und im Prinzip sollte man auch vorsichtig sein, was man so im Internet schreibt (wenn man Belegtiere nimmt), unbedarftes Teilen von Informationen kann da durchaus zu Problemen führen.

    Das oben angefragte Exemplar wird nun auf "unbestimmbar" gesetzt.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Sabine,

    ich habe mir Deine Bilder heute noch einmal sehr genau angesehen und kann die Angelegenheit nun doch weiter eingrenzen:

    Auf Bild 1 sind an der Vordertibie 2 Sporne zu erkennen, auf Bild 2 2 Sporne an der Mitteltibie und 4 Sporne an der Hintertibie. Es ergibt sich also eine Spornformel von 2-2-4 (die Sache mit der Spornformel dürfte noch von früher her klar sein - oder ;) ?). Damit scheidet aber Ptilocolepus granulatus (Spornformel 1-3-4) definitiv aus. Dasselbe gilt auch für die Arten aus der Familie Glossosomatidae (2-4-4), und ich bin mir nunmehr ziemlich sicher, dass wir hier eine Beraeidae-Art vorliegen haben. Für das Bundesland Salzburg sind Beraea pullata und Ernodes vicinus nachgewiesen. Wenn wir die Häufigkeit beider Arten im benachbarten Bayern (und auch in Baden-Württemberg) betrachten, dann ist B. pullata die deutlich häufigere Art, so dass ich denke, dass man Beraea cf. pullata als Bestimmung stehen lassen kann.

    Eine aktuellere Liste der Köcherfliegen Salzburgs von Embacher, Malicky, Keuschnig & Patzner aus dem Jahr 2011 findest Du hier.

    Liebe Grüße
    Jürgen

  • Lieber Jürgen,
    nun bin ich vollauf begeistert: zum einen, dass du dich noch einmal so in die Sache hineingekniet hast und zum anderen, dass sogar eine so konkrete Eingrenzung möglich ist. Ein ganz dickes Dankeschön!
    Die neuere Liste der Köcherfliegen war mir noch nicht bekannt, auch für diesen Link mein Dank. Herrn Embacher kenne ich sogar persönlich.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Liebe Sabine,
    das freut mich ungemein, dass du Herrn Gaul entdeckt und auch gleich "zugeschlagen" hast.
    Eine Eingrenzung bis zur Familie ist ja schon sehr viel.
    Ich hatte mich bei meinen Köcherfliegenfunden schon damit abgefunden, sie alle unbestimmt zu lassen.
    Nun keimt Hoffnung auf.
    Allerdings habe ich durch das Studium dieses Threads festgestellt, das viele Aufnahmen leider nicht die
    Auswahlkriterien zeigen. Aber ein paar reichen mir ja auch schon. Kommt irgendwann.
    Liebe Grüße
    Sigurd

  • Lieber Sigurd,

    Allerdings habe ich durch das Studium dieses Threads festgestellt, das viele Aufnahmen leider nicht die Auswahlkriterien zeigen.

    Aber auch daraus lernen wir doch: nun wissen wir, dass wir nicht nur eine hübsche Gesamtaufnahme machen müssen, sondern auch näher an die Beinchen herangehen müssen, damit es über die Spornformel zu einer besseren Eingrenzung oder sogar Bestimmung gehen kann.

    Liebe Grüße Sabine


    Ich verstehe nicht, dass wir unseren wunderbaren Planeten umbringen,
    aber zum unwirtlichen Mars fliegen wollen.
    Franz Viehböck (*1960, bisher einziger Weltraumfahrer Österreichs)

  • Hallo Sabine!
    Auch ich kann hier nichts sachdienliches beifügen, aber Deine gezeigt Köcherfliege gefällt mir ausnehmend gut. (sie sieht richtig kuschelig aus ;) )
    Toll, dass Jürgen hier so ausführlich teilnimmt. Ich freue mich, dass nun sicher die ein oder andere Köcherfliege nun ihren Namen herzeigen muss.

    Herzliche Grüße,
    Tuppie

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!